von Angelos Sarakatsanis, 10 Jahre
Es war früh am Morgen, als Luzian mit seinem Hund Klecks aus dem Haus ging. Er wollte zu dem Jägerstand am Waldrand, wo er oft zum Beobachten der Tiere hinging. Seit seinem letzten Ausflug dorthin wusste er, dass dort ein Mäusebussardpaar jagte. Das wollte er sich nicht entgehen lassen.
Auf dem Weg zum Jägerstand ging er bei seinem besten Freund und Schulkameraden Benni vorbei, um ihn zu fragen, ob er mit wolle. Dieser hatte aber vor, an ihrem ersten Ferientag auszuschlafen. Gerade noch bevor Luzian die Klingel drückte, fiel ihm das ein. „Puh, Glück gehabt!“, dachte er sich, als er am Haus vorbeiging. Unausgeschlafen war Benni nämlich eine richtige Nervensäge.
Als Luzian endlich am Jägerstand angelangt war, kreisten schon die Greifvögel über dem benachbarten Feld. Er nahm sein Fernglas und sah, wie das Weibchen – Luzian wusste, dass diese deutlich größer sind als die Männchen – ein Kaninchen erbeutete. Ganz in der Nähe des Feldes gab es eine verlassene Scheune, in der er oft mit Benni und den anderen Verstecken spielte oder selbst erfundene Comics zeichnete. Durch sein Fernglas sah Luzian einen Lieferwagen dorthin steuern. Das war komisch, denn der hatte dort nichts zu suchen. Das wollte er sich mal genauer ansehen. Also stieg der Junge vom Jägerstand herunter zu Klecks, der brav unter der Holzleiter auf ihn gewartet hatte. Mit seinem Zeigefinger auf den Lippen zeigte Luzian ihm, dass er nicht bellen durfte. Das hatte Klecks schon vor Jahren gelernt, denn sonst wäre es ja nicht möglich gewesen, mit ihm zum Jägerstand zu gehen. Alle Vögel wären bei seinem lauten Gebell sofort weggeflogen – aus und vorbei, bevor die Beobachtung überhaupt anfing.
GESTOHLENER IMPFSTOFF IM KÜHLLASTER
Luzian schlich geduckt mit Klecks zur Scheune. Durch deren hölzerne Ritzen sah er den Lieferwagen. Zwei Männer stiegen aus. Er hörte, wie die Männer redeten. Der etwas Größere sagte: „Lass uns schnell die Klebefolien abreißen und das Nummernschild ändern, sonst fallen wir zu sehr auf.“ Der andere Mann, der etwas kräftiger, aber kleiner war, staunte: „Endlich sagst du mal was Schlaues!“ Luzian sah, wie die Männer das Nummernschild abschraubten und ein neues montierten. Kurze Zeit später hörte er, dass jemand die Klebefolien abriss. Das fand Luzian gar nicht gut, denn immer, wenn er dieses Geräusch hörte, spannten sich seine ganzen Muskeln im Gesicht an und seine Ohren schmerzten sehr. Zum Glück schrie er dieses Mal nicht auf und Klecks blieb auch ruhig.
Als Luzian sah, dass sich die Männer die andere Seite des Lieferwagens vornahmen, schlich er durch seinenGeheimeingang – ein loses Brett in der Scheunenwand – mit Klecks in die Scheune. Da sah er an einer Ecke die weggeworfenen Folien, die davor auf der Karosserie geklebt hatten. Auf diesen stand in fetten Buchstaben BIONTECH. Aus den Nachrichten wusste er, dass BIONTECH die Firma war, die den Corona-Impfstoff herstellte. Erst dann bemerkte er, dass der LieferwagenKälte abstrahlte. Es war ein Kühltransporter.
Luzian hörte, wie sich die Männer unterhielten. Es ging um den Impfstoff und seine Übergabe. Aber genau konnte er nicht hören, wohin die Ware gebracht werden sollte. Irgendwas musste Luzian tun. Er konnte die Diebe doch nicht einfach wegfahren lassen – dann wäre der dringend gebrauchte Impfstoff für immer weg!
Was tun? Am besten den Transporter irgendwie verfolgen! Da kam Luzian eine Idee! Er nahm Klecks den GPS-Sender vom Halsband ab (Klecks hatte einen, weil Luzian ihn so sehr liebte und er ihn damit immer orten konnte) und klebte diesen mit seinem Kaugummi unter den Kühltransporter neben den Hinterreifen. Das hatte er mal in einem Film gesehen.
Dann schlich er sich von der Scheune weg. Als er außer Sichtweite war, sprintete er mit Klecks zu seinem Freund Benni. Dort klingelte er und Benni, der gerade aufgestanden war, öffnete. Luzian fragte außer Puste: „Kann ich Klecks für ein paar Stunden bei dir lassen?“ Benni antwortete: „Aber klar!“ Ohne viel zu erklären bedankte sich Luzian bei Benni und rannte zu seinem Opa Gerd. Bei ihm angekommen erzählte er, dass er Klecks verloren hatte und er unbedingt seine Hilfe beim Suchen brauchte. Luzian war klar, dass sein Opa, wenn es um Klecks ging, nicht lange zögern würde. Gerd sagte: „Zum Glück hat Klecks den GPS-Sender!“, und holte sein Smartphone heraus. Gerd klickte auf die GPS-App und gab den Code des Senders ein. Luzian und er sahen, wie sich der Punkt, der den Standort des Senders markierte, bewegte. Sie liefen in die Garage. Gerd zog eine Plane weg und zum Vorschein kam ein Motorradgespann.
VERBRECHERJAGD IM NOSTALGISCHEN BEIWAGEN
Luzian klappte vor Staunen die Kinnlade herunter. „Wow!“, sagte er erstaunt. „Ich wusste gar nicht, dass du sowas hast!“ Luzian navigierte sie vom Beiwagen aus, indem er das GPS-Signal über das Smartphone im Auge behielt. Sehr bald sagte Gerd misstrauisch: „Ich glaube nicht, dass ein Hund so lange so schnell laufen kann. Erzähl mir sofort, was hier vor sich geht!“ Also fing Luzian an, zu erzählen. Als er fertig war, sagte sein Opa: „Wieso hast du das nicht gleich gesagt?“, und gab kräftig Gas. Nach einer langen Fahrt durch Dörfer und Landschaften bemerkten sie, dass der Sender sich nicht mehr bewegte. Sie kamen auf eine Anhöhe, von der aus sie den Kühltransporter hinter einem großen, gläsernen Gebäude sehen konnten. Auf dessen Dach stand ein Hubschrauber. Opa Gerd parkte das Motorradgespann hinter einem Busch und versuchte, es mit Zweigen zu verstecken.
Mittlerweile war der Himmel rot und die Sonne stand schon sehr tief am Himmel. Luzian und Opa Gerd sahen viele Autos in Richtung des Gebäudehaupteinganges fahren. Es schien, als würde es eine Veranstaltung geben. Schick gekleidete Frauen und Männer wurden am Haupteingang empfangen und ins Gebäude geführt. Der Kühltransporter war noch hinter dem Gebäude geparkt. Nun war es höchste Zeit, die Polizei zu rufen, denn das Smartphone hatte kaum noch Akku. Nachdem Opa Gerd der Polizei alles gemeldet hatte, gingen er und Luzian näher ran. Sie hörten, wie eine große, schlanke Frau sagte: „Ich freue mich schon auf den Impfabend in der Klinik.“ Luzian wisperte: „Wir müssen der Polizei Zeit verschaffen … ich habe da eine Idee!“
EINE ZÜNDENDE IDEE IM RICHTIGEN MOMENT
Ohne dass Gerd etwas erwidern konnte, schlich er sich zurück zum Motorradgespann und zog sich die Lederjacke und die Sonnenbrille von seinem Opa an. Jetzt ging er in Richtung Klinik und schlug den Kragen der Jacke hoch. Opa Gerd sah entsetzt zu, als Luzian ihm zuwinkte, bevor er durch den Hintereingang ins Gebäude verschwand. Gerd schlug sich mit der Hand auf die Stirn. Als er nochmal die Polizei anrufen wollte, um zu fragen, wann diese endlich kommen würde, merkte er, dass sein Handy nicht mehr da war. Luzian fand mittlerweile im Gebäude eine Tür mit der Aufschrift „Bühne“. Daneben stand ein Wachmann, der so groß war wie ein Schrank. Als dieser Luzian sah, fragte er misstrauisch: „Wer bist du denn?“ „Der Breakdancer, den Sie für die Show bestellt haben“, antwortete Luzian selbstsicher. „Du bist ja noch ein Kind!“, sagte der Mann abfällig und fügte noch hinzu „und außerdem weiß ich nichts von einem Auftritt.“
In dem Moment wollte ein Mann mit einem Arztkittel an ihnen vorbei. „Hallo, Chef. Der Kleine hier meint, Sie hätten ihn als Breakdancer engagiert. Darf er rein?“, fragte der Wachmann. „Das kann gut sein, hm … das organisiert meine Frau … ich mache das nämlich nie … und schließlich ist das ja der Bühneneingang“, antwortete dieser genervt und ging durch den Eingang. Luzian nutze seine Chance und hechtete ihm hinterher.
Der Klinikchef stellte sich an ein Mikrofon. „Meine Damen und Herren, gleich nach einer kurzen Show beginnen die Impfungen! Richten Sie bitte Ihre Aufmerksamkeit auf den Breakdancer- Jungen!“ Luzian nahm das Smartphone, wählte das Lied „Freestyler“ und koppelte es mit dem Verstärker. Er fing an, Breakdance- Bewegungen vorzuführen. Das konnte er richtig gut und das Publikum klatschte im Rhythmus. Doch die Musik verstummte, denn der Akku war leer und ein anderes Geräusch war jetzt zu hören. Auf Luzians Gesicht erschien ein Lächeln. Als der Klinikchef und die Gäste die Polizeisirenen hörten, wollten alle schnellstmöglich das Gebäude verlassen.
FINALE IM HUBSCHRAUBER
„Wusste ich es doch! Du bist kein Breakdancer, sondern irgendein stinknormaler Junge, der uns abgelenkt hat.“ Der Klinikchef packte Luzian am Arm und zerrte ihn hoch, auf das Dach. Von dort aus sah Luzian die Polizei angefahren kommen. Als der Arzt ihn in den Hubschrauber schubste, fiel Luzian zu Boden und stieß sich den Kopf. Der Klinikchef schrie den Piloten an: „Starten Sie!“ Als der Pilot sich umdrehte, dachte Luzian seinen Opa zu erkennen. Doch konnte das sein? Das musste er sich eingebildet haben. Der Klinikchef wiederholte sehr gereizt: „Wieso starten Sie nicht?“ In dem Moment kam auch schon die Polizei und Luzian wurde schwarz vor Augen.
Als Luzian wieder zu sich kam, lag er in einem Bett. Er war im Krankenhaus. Sein Schädel brummte und er hatte eine dicke Beule. Sein Opa saß neben ihm auf der Bettkante. Luzian fragte: „Wie bist du eigentlich in den Hubschrauber gelangt oder habe ich das nur geträumt?“ Opa Gerd schilderte Luzian, wie er gesehen hatte, dass Luzian die Treppen nach oben gezerrt wurde. Da war er die Feuertreppe hochgesprintet. Oben angekommen hatte er den Piloten aussteigen und durch eine andere Tür verschwinden sehen. „Ich wollte schon immer Pilot werden!“, sagte Opa Gerd lächelnd. Natürlich erzählte er ihm auch von der Festnahme des Klinikchefs, seiner Helfer und der Gäste der illegalen Impfveranstaltung.
„Ich muss Klecks abholen!“, rief Luzian plötzlich. „Der übernachtet heute bei Benni. Mach dir keine Sorgen, ich habe schon alles geklärt“, beruhigte ihn sein Opa. „Morgen früh können wir hier losfahren, aber heute musst du dich noch ausruhen.“ Am nächsten Morgen war ein Foto von Luzian in der Zeitung und er war ein Held. Das war ein Start in die Sommerferien!
Ende
Foto: hitthatswitch, Flickr